Es war einmal ein Zwerg (ja, das war noch bevor die globale Klimaerwärmung auch hier Einzug gehalten hat). Der Zwerg (dessen Name an dieser Stelle selbstverständlich noch nicht verraten wird) war schon älteren Jahrgangs (also etwas über 30; hehe). Es war ein kalter Wintermorgen, als er vor seine Höhle trat und seinen Blick unruhig über die Landschaft schweifen liess. Friedrich Fuchs war neben ihn getreten, die Stirn in tiefe Falten gelegt. „Du hast Recht!“, sagte er, obwohl der Zwerg noch gar nichts laut gesagt hatte (Freunde dieser Art verstehen sich auch ohne Worte), „es ist Zeit.“
Damit machte er kehrt und die rasche Bewegung seines buschigen Schwanzes liess die Schneeflocken tanzen. Der Zwerg drehte sich um. „Wann?“
„Bis spätestens morgen bei Tagesanbruch.“ Damit war Friedrich in seinem Bau verschwunden. Der Zwerg hörte ihn rumoren und wusste, dass es kein Zurück gab. Die Zeit war gekommen.
Am nächsten Tag, kurz vor dem Morgengrauen trat der Zwerg vor seine Höhle. Er hatte einen Kloss in der Kehle. Fuchs war schon gegangen. Der Zwerg ahnte, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Aber er hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen. Er drückte das Bündel, dass er in der Hand hielt, an sich und schaute sich misstrauisch nach allen Seiten um. Erst als er sich ganz sicher war, dass er der Letzte war, der die Siedlung verliess, suchte er die nähere Umgebung nach einem Versteck ab. Es war sehr schwer. Er wusste, dass er die Siedlung umgehend verlassen musste, aber ihm war auch klar, dass er das Bündel nicht mitnehmen konnte. Es war zu wertvoll. Die Gefahr, dass es auf der Flucht verloren gehen oder gestohlen werden könnte, war einfach zu gross. Das Risiko konnte er nicht eingehen. Er hatte vor, seinen kostbaren Schatz zu verstecken und später wiederzukommen. Aber jetzt musste er sich beeilen. Das Brummen der Sägen kam näher und näher. Dem Zwerg brach der kalte Schweiss aus. Unruhig schweifte sein Blick überall herum. Was sollte er bloss tun?
Auf einmal hörte er eine tiefe Stimme. Er wusste sofort, wem sie gehörte. Das konnte nur Bosporus sein, der knorrige Baum von der Vorderseite. Schnell lief der Zwerg zu ihm hin und beugte sich ganz nah an seinen Stamm heran. „Was kann ich für dich tun?“, flüsterte Bosporus freundlich. Der Zwerg erklärte seine Situation. Er zitterte am ganzen Körper. Die Sägen dröhnten schon ganz nah. Doch der Baum blieb ruhig. „Ich helfe dir. Ich werde deinen Schatz verstecken bis sich die Lage soweit beruhigt hat, dass Du zurück kommen kannst!“
Der Zwerg war noch nicht ganz überzeugt. „Was ist, wenn sie dir auch ans Leben wollen?“ „Verlass Dich darauf, das werden sie nicht. Ich bin überzeugt, dass einige wenige von uns am Leben bleiben werden. Euphelia, die weise, alte Eule war letzte Nacht bei mir und hat mir Mut gemacht. Und nun geh!ich wünsche Dir alles Gute! Bis wir uns Wiedersehen!“
Der Zwerg nickte erleichtert und umarmte den Baum. „Bis wir uns wiedersehen!“, flüsterte er. Doch bevor er im Dunkeln verschwand, hob er noch etwas Langes, Knorriges vom Boden auf und reichte es dem Baum. „Das wird dir helfen, den Schatz zu verstecken!“ Mit diesen Worten verschwand er nordwärts zwischen den Bäumen und das letzte was Bosporus sah war der schwache, immer kleiner werdende Schatten, den die anbrechende Morgendämmerung auf die verschneite Wiese zeichnete.
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