Gedanken zum Jahreswechsel


Diesen Text habe ich gestern gelesen.  Irgendwie hat das letzte Jahr nebst allem Schönen auch einige traurige Spuren hinterlassen, die ich bisher noch nicht so ganz hinter mir lassen konnte. Als ich die Zeilen des Liedes von Dietrich Boenhoffer las, wurde ich einmal mehr getröstet. Dieser Mann hat Unglaubliches erlitten und hat doch immer wieder erlebt, wie Gott tröstet und uns nie im Stich lässt. Das nehm ich für mich mit. Auch wenn das alte Jahr zu Ende ist und für mich noch viele Fragen offen sind, darf ich wissen, dass ein Grösserer mein Leben, und alles was damit zusammenhängt, in seinen unendlich liebevollen Händen trägt.

Der Zwerg 3; Vertrauen

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als unser Zwerg sich endlich gestattete, einmal hinzusitzen und richtig Rast zu machen. Im Schatten eines grossen Fliegenpilzes, etwas versteckt und mit wohlig weichem Moos bedeckt, fand er ein gemütliches Ruhekissen aus alten Ahornblättern für seinen müden Kopf. Er legte sich ein Weilchen hin und versuchte, sich zu entspannen, aber seine Gedanken schwirrten nur so hin und her und er fand keine Ruhe. Was würde morgen sein? Würde er die Kuhle auf der höheren Veilchenalp rechtzeitig erreichen, oder würden die schrecklichen Sägen vor ihm dort sein? Würde er seine Freunde gesund und munter wiedersehn? Wie hoch würde der Preis sein? Würde er je wieder Frieden und Ruhe verspüren? Er hielt inne und auf einmal erblickte er in der zerfurchten Rinde einer alten Rottanne ein stilles Gedicht. Also, eigentlich war es kein Gedicht, wie wir es heute kennen und die meisten von euch hätten es wohl kaum entdeckt, aber unser Zwerg sah ganz still zur Tanne hin und begriff, dass ihm da jemand eine Botschaft hinterlassen hatte. Sie war in zwergonisch verfasst und ihr müsst wissen, dass Zwerge nur und ausschliesslich in Bildern schreiben. Vielleicht denkt ihr nun, dass Buchstaben doch viel besser und genauer seien als Bilder, aber dem würden alle Zwerge ohne Ausnahme sofort entgegenhalten, dass Bilder auszudrücken vermögen, wozu Buchstaben nie in der Lage wären.

Unser Zwerg blickte also intensiv und konzentriert zur Rottanne, entzifferte die eingekratzte Nachricht und merkte, wie sich sein Herzschlag langsam beruhigte, ja schliesslich entfuhr ihm ein tiefer Seufzer der Erleichterung. Auf einmal sah er sich selbst auf dem Bild, ganz klein, von blossem Auge kaum zu sehen, und doch geborgen in einer grossen, starken Hand, viel grösser als die eines Menschen, beschützt und gehegt, so unendlich wichtig und umsorgt, und er wusste auf einmal ganz tief drinnen; es kommt gut. Er wusste zwar nicht wie, wann und warum, ob so oder so, aber er spürte den zarten Flügelschlag dessen, was wir Menschen Hoffnung oder Glaube nennen und er entschied sich in dieser Stunde unter dem Fliegenpilz, dem zu vertrauen

 

Der Zwerg: hilfe auf der Flucht

Das Licht blendete ihn und er versuchte, seine Hand vor die Augen zu ziehen. Doch es gelang ihm nicht. Wo war seine Hand? Was war das für ein Licht? Wo war er bloss? Was war geschehen? Langsam und vorsichtig versuchte der Zwerg seine Augen zu öffnen. Er sah einen dunklen Schatten rasend schnell auf sich zukommen, doch bevor sich ein entzetzter Schrei aus seiner heiseren Kehle lösen konnte, flüsterte eine ihm wohlbekannte Stimme beruhigend: „he Grosser, ausgeschlafen?“
Ein erleichterter Seufzer entfuhr dem Erwachenden. Der Schatten wurde klarer
und es war offensichtlich, dass unser Freund nichts zu befürchten hatte. Die Stimme gehörte Pfiff, dem kleinen Einhörnchen van der Buche. Endlich öffnete der Zwerg seine Augen ganz und blickte direkt in die kleinen, dunklen Knopfäuglein des freundlichen Einhörnchens. „Van der Buche, alter Freund! Wie gut dich zu sehen. Wie gut dass du noch lebst“ Die Stimme des Zwergs zitterte. Nun kamen die Erinnerungen langsam zurück. Das unheimliche Brummen der Sägen. Alle Tiere auf der Flucht. Der Zwerg erinnerte sich, dass Klein Pfiff als einer der ersten die Siedlung verlassen hatte. Sie hatten sich traurig, aber tapfer auf Wiedersehen gewünscht, wohlwissend, dass der Ausgang dieses ungewollten Abenteuers nicht in ihren Händen lag und ein Wiedersehen diesseits des Sonnenuntergangs im Ungewissen lag.

„Wie fühlst du dich denn jetzt?“, unterbrach Pfiff seine Gedanken. „Du hast recht lange geschlafen! Aber so müde und erschöpft wie du warst, ist das ja auch nicht weiter verwunderlich!“
Endlich richtete der Zwerg sich halbwegs auf und blickte einigermassen erstaunt um sich. Sein Kopf dröhnte noch etwas, doch seine Gedanken wurden allmählich klarer.
„Pfiff, wo sind wir? Sind wir in Sicherheit?“ Das kleine Einhörnchen wiegte nachdenklich den Kopf hin und her, doch seine lustigen Augen blitzten fröhlich. „Wir sind bei Piep, der Kohlmeise im oberen Nadelwald. Ob wir hier in Sicherheit sind!? Ich schon. aber Du? Das wage ich zu bezweifeln. Piep wohnt hier ja nicht allein und die anderen Vögel dulden eigentlich keinen Besuch. Für die letzten Stunden haben sie eine Ausnahme gemacht, weil Du ja verletzt bist, aber…..“ der Rest des Satzes hörte der Zwerg nicht mehr. Verletzt? Er blickte da hin, wo erseine rechte Hand vermutete und erschrak. Dick eingebunden in winzige, flauschige Vogelfederchen und dickes Moos lag sie da. „Was ist geschehen?“
Pfiff wand sich. „Wir wissen es nicht. Gestern am späten Nachmittag, es dunkelte schon und der Wald war voller unheimlicher,  tanzender Schatten, kam Piep aufgeregt angeflogen und schnatterte, du lägst verletzt am Waldrand, wir müssten Hilfe holen. Helmuth, der Habicht, hat dich dann in einem Anflug von seltener Hilfsbereitschaft hierhergeflogen. Mehr weiss ich nicht.“ In dem Moment kam Piep zurück und die drei Freunde besprachen die Lage. Eins war klar: dem Dröhnen der Sägen nach hatte sich die Lage in der Waldsiedlung noch nicht entschärft. Wer wusste, ob der Feind nicht morgen schon hier sein würde? Der Zwerg drehte seine Hand vorsichtig hin und her. „Das müsste reichen!“, brummte er. „Morgen früh mach ich mich wieder auf den Weg. Ich kann euch gar nicht genug danken für eure Hilfe!“

Der Zwerg

Es war einmal ein Zwerg (ja, das war noch bevor die globale Klimaerwärmung auch hier Einzug gehalten hat). Der Zwerg (dessen Name an dieser Stelle selbstverständlich noch nicht verraten wird) war schon älteren Jahrgangs (also etwas über 30; hehe). Es war ein kalter Wintermorgen, als er vor seine Höhle trat und seinen Blick unruhig über die Landschaft schweifen liess. Friedrich Fuchs war neben ihn getreten, die Stirn in tiefe Falten gelegt. „Du hast Recht!“, sagte er, obwohl der Zwerg noch gar nichts laut gesagt hatte (Freunde dieser Art verstehen sich auch ohne Worte), „es ist Zeit.“
Damit machte er kehrt und die rasche Bewegung seines buschigen Schwanzes liess die Schneeflocken tanzen. Der Zwerg drehte sich um. „Wann?“
„Bis spätestens morgen bei Tagesanbruch.“ Damit war Friedrich in seinem Bau verschwunden. Der Zwerg hörte ihn rumoren und wusste, dass es kein Zurück gab. Die Zeit war gekommen.
Am nächsten Tag, kurz vor dem Morgengrauen trat der Zwerg vor seine Höhle. Er hatte einen Kloss in der Kehle. Fuchs war schon gegangen. Der Zwerg ahnte, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Aber er hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen. Er drückte das Bündel, dass er in der Hand hielt, an sich und schaute sich misstrauisch nach allen Seiten um. Erst als er sich ganz sicher war, dass er der Letzte war, der die Siedlung verliess, suchte er die nähere Umgebung nach einem Versteck ab. Es war sehr schwer. Er wusste, dass er die Siedlung umgehend verlassen musste, aber ihm war auch klar, dass er das Bündel nicht mitnehmen konnte. Es war zu wertvoll. Die Gefahr, dass es auf der Flucht verloren gehen oder gestohlen werden könnte, war einfach zu gross. Das Risiko konnte er nicht eingehen. Er hatte vor, seinen kostbaren Schatz zu verstecken und später wiederzukommen. Aber jetzt musste er sich beeilen. Das Brummen der Sägen kam näher und näher. Dem Zwerg brach der kalte Schweiss aus. Unruhig schweifte sein Blick überall herum. Was sollte er bloss tun?
Auf einmal hörte er eine tiefe Stimme. Er wusste sofort, wem sie gehörte. Das konnte nur Bosporus sein, der knorrige Baum von der Vorderseite. Schnell lief der Zwerg zu ihm hin und beugte sich ganz nah an seinen Stamm heran. „Was kann ich für dich tun?“, flüsterte Bosporus freundlich. Der Zwerg erklärte seine Situation. Er zitterte am ganzen Körper. Die Sägen dröhnten schon ganz nah. Doch der Baum blieb ruhig. „Ich helfe dir. Ich werde deinen Schatz verstecken bis sich die Lage soweit beruhigt hat, dass Du zurück kommen kannst!“
Der Zwerg war noch nicht ganz überzeugt. „Was ist, wenn sie dir auch ans Leben wollen?“ „Verlass Dich darauf, das werden sie nicht. Ich bin überzeugt, dass einige wenige von uns am Leben bleiben werden. Euphelia, die weise, alte Eule war letzte Nacht bei mir und hat mir Mut gemacht. Und nun geh!ich wünsche Dir alles Gute! Bis wir uns Wiedersehen!“
Der Zwerg nickte erleichtert und umarmte den Baum. „Bis wir uns wiedersehen!“, flüsterte er. Doch bevor er im Dunkeln verschwand, hob er noch etwas Langes, Knorriges vom Boden auf und reichte es dem Baum. „Das wird dir helfen, den Schatz zu verstecken!“ Mit diesen Worten verschwand er nordwärts zwischen den Bäumen und das letzte was Bosporus sah war der schwache, immer kleiner werdende Schatten, den die anbrechende Morgendämmerung auf die verschneite Wiese zeichnete.